Doch was genau sind eigentlich Akupunkturpunkte?
Die Traditionelle Chinesische Medizin geht davon aus, dass die Lebensenergie («Qi») durch unseren Körper in einem energetischen Netz aus Leitbahnen fliesst. Diese Leitbahnen werden als Meridiane bezeichnet. Sie laufen vom Kopf zum Fuss, vom Fuss zum Kopf, manche starten oder enden an den Fingerspitzen. Alle haben einen Anfangspol und einen Endpol. Die 12 Hauptmeridiane sorgen im gesunden Zustand dafür, dass «Qi» (die Lebensenergie) hindernisfrei durch unseren Körper fliesst. Entlang der Meridiane gibt es rund 360 Akupunkturpunkte. Diese liegen unter der Hautoberfläche in Bereichen, die von kompakten Nervenbündeln durchzogen sind. Wenn die Lebensenergie ungehindert fliessen kann, sind wir gesund, denn sie schützt uns vor Krankheiten, wärmt und nährt uns. Wenn allerdings der Energiefluss behindert ist, können Krankheiten oder Schmerzen entstehen. Das Qi ist dann blockiert oder erschöpft, es fliesst zu schnell oder zu langsam.
Entlang dieser Leitbahnen sind in unregelmässigen Abständen Akupunkturpunkte angeordnet. Sie verbinden sowohl die Akupunkturpunkte untereinander als auch Organe und Körperstrukturen, die sich gegenseitig beeinflussen. An diesen Stellen liegt der jeweilige Meridian nahe unter der Hautoberfläche und ist von aussen zugänglich. In der TCM sagt man, dass sich an diesen Stellen die Meridiane durch die Haut «öffnen». Bedingt durch die besondere Zugänglichkeit kann hier durch Manipulation in Form von Akupunktur, Akupressur, Wärmeapplikation, Schröpfen oder Guasha ein Ungleichgewicht behandelt werden und im Idealfall ausgeglichen werden.
Die Meridiane werden in Yin- und Yang-Meridiane unterteilt. Benannt sind sie nach den jeweiligen Organen, die sie durchlaufen und somit in Verbindung stehen. Es gibt sechs Yin-Meridiane (Lunge, Milz, Herz, Niere, Perikard, Leber) und sechs Yang-Meridiane (Dickdarm, Magen, Dünndarm, Blase, San Jiao, Gallenblase). Interessant ist, dass Yin-Meridiane immer an der Innen- oder Vorderseite des Körpers entlanglaufen. Yang-Meridiane verlaufen immer an der Aussen- oder Hinterseite des Körpers. Jeder Akupunkturpunkt besitzt in der chinesischen Terminologie einen spezifischen Namen. Allein die Bezeichnung gibt bereits einen Hinweis auf dessen Wirkungsweise. Manche Punkte tragen Namen wie «Harmonische Vereinigung» oder «Tor zum Bewusstsein» oder «Punkt der Langlebigkeit». Besonders wichtige Punkte werden als Himmlische Sternpunkte, Geistpunkte, Dämonenpunkte, Alarmpunkte und Kommandopunkte benannt. Es sind antike Punkte und wahre Meisterpunkte. Die meisterliche Fähigkeit dieser Punkte lässt sich anhand der Bezeichnung schon erahnen.
Ausserdem gibt es noch druckdolente Punkte, die sogenannten Ashi-Punkte. Sie werden nach Schmerzempfinden des Patienten eingesetzt und bei einer Behandlung durch Druckausübung auf das Gewebe lokalisiert. Sie deuten durch das Vorhandensein von Schmerzen auf einen Ungleichgewichtszustand im Inneren des Körpers hin. Schmerz ist immer ein Zeichen dafür, dass die Lebensenergie «Qi» nicht ungehindert fliessen kann.
Neben den Ashi-Punkten und den 12 Hauptmeridianen gibt es noch weitere Extrapunkte. Diese Extrapunkte liegen ausserhalb der Meridiane. Sie werden bei manchen Indikationen den klassischen Akupunkturpunkten vorgezogen. Wir finden sie an Kopf und Hals, auf Thorax und Abdomen, am Rücken entlang der Wirbelsäule, an den oberen und unteren Extremitäten. Auch an Ohrmuschel und Schädel finden wir Akupunkturpunkte. Allen Punkten ist gemeinsam, dass der TCM-Therapeut sehr genau wissen muss, wo sie liegen. Sie werden in der Fachliteratur mit Hilfe von markanten Körperstellen beschrieben, mit einem fest definierten Abstand zu Knochen oder Gelenken, zu Sehnen oder Muskeln. Mehr als 80% aller Akupunkturpunkte liegen an Stellen, an denen verdickte Faszienstrukturen zu finden sind. An diesen Verdickungen genadelt, findet man eine Vielzahl an freien Nervenenden und hat einen grösseren mechanischen Effekt. Dies ist vor allem an Gelenken der Fall.
Was sagt die westliche Medizin zu Akupunkturpunkten?
Die Akupunkturbehandlung und die damit verbundene Stimulierung der Akupunkturpunkte bewirkt über das Rückenmark einen elektrischen Impuls. Durch Übertragung und Weiterleitung an das zentrale Nervensystem fungiert sie als Signalgeber für chemische Botenstoffe – die sogenannten Neurotransmitter. Es ist eine wahre Kaskade an biochemischen Vorgängen, die das Nervensystem aktiviert und damit die Reizleitung und Schmerzzustände im Körper beeinflusst. Hormone, Endorphine, Botenstoffe wie ATP, Adenosin und GABA sorgen für eine entspannungsfördernde und schmerzlindernde Wirkung. Doch nicht nur das. Durch die Stimulierung der Akupunkturpunkte werden zusätzlich in einem Teil des Zwischenhirns (Hypothalamus) Endorphin und Serotonin ausgeschüttet, bekannt als die «Glücklichmacher» - ein willkommener Nebeneffekt. Ausserdem haben wissenschaftliche Studien gezeigt, dass sich die Anzahl der weissen Blutkörperchen merklich erhöht, wenn Akupunktur zum Einsatz kommt. Das Immunsystem wird gestärkt. Es existieren zudem neuere Studien über die Wirksamkeit von Akupunktur an bestimmten Punkten. Eine Nadelung am Akupunkturpunkt «Magen 36» bewirkt einen messbaren Anstieg von weissen und roten Blutkörperchen bei Patienten, die sich in Chemotherapie befinden. Eine Nadelung des Akupunkturpunktes Sanjiao 6 bewirkt im bildgebenden Verfahren des MRI eine beidseitige Aktivierung des Areals im Gehirn, welches für die Speichelbildung wichtig ist.